PizBernina 4049m - Biancograt

PizBernina 4049m - Biancograt

2.-4.8.2017

Es war am 2.August 2018. Von Pontresina stiegen wir durch das ValRoseg hinauf zur Tschiervahütte. Es war ein prächtiger Sommertag und viele Leute nutzten das schöne Wetter für eine Wanderung im Tal. Bei der Hütte angekommen machten wir eine Pause und tranken etwas, immer mit dem Blick auf das Ziel vom nächsten Tag.

Blick auf den PizBernina mit dem Biancograt

 Obwohl ich den PizBernina über den Biancograt schon mehrmals bestiegen hatte, machte ich mich nach einer kurzen Stärkung auf den Weg, um den Zustiegsweg (Biancoweg) zur Fuorcla Prievlusa zu rekognoszieren. Da sich im Herbst zuvor ein Felssturz am PizMorteratsch ereignet hatte, war ich mir nicht sicher, ob der Routenverlauf immernoch der Gleiche ist. (https://www.gipfeltreffen.at/forum/gipfeltreffen/toureninfo-verh%C3%A4ltnisse/hochtouren-gletscher/schweiz-liechtenstein-aa/85059-felssturz-piz-morteratsch-biancoweg)

Am Ende verloren sich die Wegspuren in einem Geröllfeld und ich ging noch über Felsplatten weiter hinauf wo ich auf den Gletscher traf. Vor mir entdeckte ich drei Bergsteiger welche über eine kleine Mittelmoräne hinauf auf das Gletschereis stiegen. Ich grüsste die drei jungen Bergsteiger, ging an ihnen vorbei und machte auf einer Höhe von rund 3150m eine Pause. Auf einem Stein sitzend, erledigte ich ein Telefon während die 3 Bergsteiger, zwei junge Männer und eine junge Frau, zu mir hochkamen. Sie hatten sehr viel Gepäck dabei. Der Vorderste der drei kam zu mir, fragte mich ob ich Bergführer sei und er erkundete sich nach dem Zustiegsweg zur Fuorcla Prievlusa. Ich hielt einen kurzen Schwatz mit ihm und fragte ihn, ob sie nicht in die Hütte zum Übernachten kämen. Er sagte mir, dass sie in den nächsten Tagen noch ein paar weitere Bergtouren vorhätten und es somit für sie zu teuer sei. Daher machten sie ein Biwak in der Fuorcla Prievlusa. Ich verabschiedete mich von ihnen und lief zurück zur Hütte.

Die drei jungen Bergsteiger vor mir im Aufstieg. Im Hintergrund die Fuorcla Prievlusa.

 

 

Ich sitze auf einem Stein, mit Blick ins hintere ValRoseg. Die drei Bergsteiger kommen zu mir hoch.

 

Auf dem Rückweg zur Hütte. Hier werden wir morgen im Dunkeln hochsteigen.

 

Zurück in der Hütte angekommen, erreichte mich die Meldung, das an diesem Tag eine Frau am Biancograt abgestürzt war. (https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/32-jaehrige-alpinistin-stuerzt-am-piz-bernina-600-meter-in-den-tod-131577428) . Es sollte an diesen Tagen nicht der letzte Unfall am Biancograt sein, aber davon ahnte ich natürlich nichts. Nach einem feinen Nachtessen gingen wir ins Bett. 

3.August 2017

"schwarzer Tag am Biancograt"

In der morgendlichen Dunkelheit starteten wir zur Tour. Es war sehr warm. Einige Zeit vor uns waren bereits 2 junge Schweizer gestartet. Sie planten die Tour an einem Tag zu machen mit der Überschreitung des Piz Palü zurück zur Diavolezza. Obwohl wir sehr gemütlich gingen, wollte uns keine der nachfolgenden Seilschaften überholen. Wahrscheinlich schätzten sie es, in der Dunkelheit einem Bergführer zu folgen. Sobald man am Ende des Biancoweg um die Ecke kam, sah man die Stirnlampen der drei jungen Deutschen im ersten Felsteil kurz oberhalb der Fuorcla Prievlusa.Plötzlich ging ein imposanter Felssturz unterhalb des PizBianco auf unserer Seite in Richtung Gletscher hinunter. Die Dunkelheit wurde erhellt durch funkende Felsblöcke. Das war wohl ein Zeichen der grossen Sommerwärme. In der Fuorcla angekommen, genossen wir die aufgehende Sonne. 

Eine Zweierseilschaft vor uns in der Fuorcla Prievlusa

 

Sonnenaufgang

Der Biancograt

 

Nach dem ersten Felsteil erreichten wir um 7.00Uhr den Firn vor der "Haifischflosse". Die Haifischflosse ist eine Felsspitze, welche aus dem Biancograt ragt. Dort trafen wir auf die 3 jungen deutschen Bergsteiger, welche in der Fuorcla biwakierten. Ich unterhielt mich kurz mit dem Seilschaftsführer. Das Gespräch ergab, dass sie für den ersten Felsteil fast gleich lange brauchten, wie wir von der Hütte bis hierher. Obwohl ich eigentlich vorhatte über die Haifischflosse zu klettern, entschied ich mich, zügig die Steigeisen zu montieren, um vor den Anderen auf dem Biancograt zu sein. Der eigentliche Grat sah von hier aus zwar weiss aus, doch in Wirklichkeit handelte es sich um eine dünne, matschige Schneeschicht auf Blankeis. Die zwei Bergsteiger, welche bereits im Felsteil vor uns waren, gingen seilfrei an uns vorbei. Mein Gast und ich stiegen kurze Zeit später in Richtung Haifischflosse. Hinter uns kam ein junger schweizer Bergführeraspirant mit seinem Bergkameraden und dann die deutsche Dreierseilschaft.

Die zwei Bergsteiger vor uns auf dem Weg zur Haifischflosse

 

 

Wir montieren die Steigeisen. Der Weiterweg ist mit Blankeis geschmückt.

 

 

Gleich unterhalb der Haifischflosse trafen wir auf Blankeis. Ich hatte zwei Eisschrauben dabei. Mit einer Schraube sicherte ich meinen Gast, dann kletterte ich volle 40 Meter hoch und sicherte ihn auf dem Grat an der zweiten Eisschraube nach. Mein Gast stieg auf den Frontzacken zu mir auf. Nun machte ich wieder die Seilverkürzung, damit wir wie üblich am kurzen Seil über den Biancograt aufsteigen konnten. Die zwei Bergsteiger vor uns gingen weiter seilfrei über den Grat. Zu Beginn ist der Biancorat zwar sehr flach, doch bereits nach einigen Metern wurde mir klar, dass sich unter der matschigen Schneeschicht reines Blankeis befand und ich einen Ausrutscher meines Gastes nie und nimmer halten konnte. Somit blieb mir nichts anderes übrig, als den ganzen Grat mit Eisschrauben abzusichern.

Aufstieg nach der Haifischflosse auf den Grat

 

 

Blankeis. Unter uns der Morteratschgletscher noch im Schatten.

 

 

Ich wickelte das ganze Seil wieder von meinem Körper, setzte eine Eischraube woran ich meinen Gast sicherte und eilte den Biancograt hinauf, bis ich die 40Meter Seillänge ausgeklettert war. Dann setzte ich die zweite Eisschraube und hackte mit dem Eispickel ein Podest, damit man gemütlich stehen konnte. An der Eischraube sicherte ich meinen Gast nach, welcher mir die andere Eisschraube wieder hochbrachte. So gings nun Seillänge um Seillänge weiter. Beim Nachsichern stieg der junge Bergführeraspirant mit seinem Kameraden am kurzen Seil an mir vorbei und lobte meinen Gästeservice. Ich schaute weiterhin hinunter und sah, dass die drei jungen Bergsteiger aus Deutschland etwa 50 Meter hinter meinem Gast aufstiegen. Sie waren angeseilt, etwa 8 bis 10 Meter Seil zwischen den einzelnen Personen, jedoch ohne Standplatz- oder Zwischensicherung.

 

7.40Uhr
Nun passierte es: Die junge Frau in der Seilmitte hatte einen kleinen Rutscher, blieb aber auf den Beinen. Das Seil straffte sich nach vorne und riss den Seilschaftsführer von den Beinen, worauf dieser in die Ostseite hinunterstürzte. Die beiden Anderen hatten keine Chance den Sturz zu halten und wurden mitgerissen. Hilflos verfolgte ich den Absturz der 3 jungen Bergsteiger und rief meinem Gast zu, er solle immer zu mir hochschauen. Ziemlich genau vor einem Jahr, wurden wir beide  Zeuge von einem tödlichen Absturz am Zinalrothorn, ich wollte nicht, dass er ein zweites Mal zuschauen musste. Ich alarmierte direkt die Rega, anschliessend setzten wir den Aufstieg fort, wie auch die restlichen Seilschaften am Grat. Mittlerweile hatte auch die Seilschaft vor uns vom Unglück Wind bekommen und wechselte auf die Sicherung mit Eisschrauben. Kurze Zeit später kreiste ein Helikopter der Rega über der Unglücksstelle, doch aufgrund der Hitze war wegen Stein- und Eisschlag nicht an eine Bergung zu denken. Eine Seilschaft hinter uns wurde später vom Grat evakuiert.

Kurz nach dem Unglück. Es ist still am Grat. Die nächsten Seilschaften befinden sich gleich oberhalb der Haifischflosse.

 

Blick hinunter zum Morteratschgletscher

 

Wir setzen den Aufstieg fort. Es hat nun wieder mehr matschigen Schnee auf dem Blankeis

 

Blick zurück auf den Biancograt und auf die Unglücksstelle wo innerhalb von zwei Tagen 4 Bergsteiger abstürzten.

 

Blick nach oben, wo der junge Aspirant und sein Kamerad nun auch gesichert hochsteigen.

 

 

Die Rega im Anflug

 

Nach etlichen Seillängen, welche ich jeweils im Eiltempo hinter mich brachte, erreichten wir endlich den Piz Bianco. Es vergingen nicht ganz 2 Stunden seit dem Unglück. Wir kletterten weiter über den schönen Felsgrat hinüber auf den Piz Bernina. An Jubel war heute nicht zu denken, obwohl sich das Wetter von seiner schönsten Seite zeigte. Nach einer ausgiebigen Gipfelpause stiegen wir über den Spallagrat ab. Der Spallagrat ist die Normalroute auf den Piz Bernina. Ich war froh, dass ich nur einen Gast am Seil hatten. In der Marco e Rosa-Hütte, welche wir am frühen Nachmittag erreichten, sah ich eine 4er-Seilschaft von einer grossen Bergsteigerschule aus der Zentralschweiz, welche mit einem ausländischen Guide den Bernina via Spallagrat bestiegen hat. Für mich war es unverständlich, wie man bei solchen Bedingungen als 4er-Seilschaft mit Einsteigern eine solche Tour machen konnte. Vielleicht war ich zu diesem Zeitpunkt jedoch auch zu stark durch das Erlebte geprägt. In der Hütte war die Unfallmeldung bereits angekommen. Am Abend klingelte das Telefon. Die Polizei wollte Informationen zum Unglück am Biancograt.

Blick vom Piz Bianco zum Piz Bernina

Panorama auf dem Gipfel

 

4.August 2017

Über die 3 Gipfel des PizPalü gings am letzten Tag zur Diavolezza. Mittels Seilbahn und dem Zug erreichten wir Pontresina.

Auf dem Gletscher unterhalb der Bellavista

 

Sonnenaufgang

 

Blick vom Palü zum Biancograt

 

Im Spaltenlabyrinth unterhalb des Piz Cambrena

Wie bereits am Vortag auf der Hütte machte ich mir auf der Heimreise viele Gedanken über das Unglück am Biancograt. Ich war traurig über das Schicksal der drei jungen Bergsteiger. Doch mich beschäftigte auch der Gedanke, dass die drei noch nicht identifiziert wurden und die Eltern und Angehörigen der Verunglückten erst Tage später davon mitbekommen haben.

 

 

 

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R.I.P

 

 


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